
Die Situation rund um die strafrechtliche Verfolgung des Chefredakteurs des World of Martial Arts Magazine, des deutschen Journalisten Sergej Engelmann, spitzt sich weiter zu. Im Mai dieses Jahres hat die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland offiziell eine Protestnote an das Außenministerium der Ukraine übermittelt. Anlass für diesen diplomatischen Schritt waren zahlreiche Verfahrensverstöße, die im Zuge der Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens im Fall Engelmann begangen wurden – insbesondere durch den Staatsanwalt der Regionalstaatsanwaltschaft Odessa, Ruslan Voitov.
Die vorliegende Veröffentlichung systematisiert die wesentlichen Fakten, die zu dieser diplomatischen Reaktion geführt haben, und analysiert die Situation im Kontext des Völkerrechts sowie der rechtlichen Konsequenzen für jene Akteure, die an der Verletzung der Rechte eines deutschen Staatsbürgers auf ukrainischem Staatsgebiet beteiligt waren.
Kurzinfo: Der Fall Sergej Engelmann

Am 14. Oktober 2024 wurde unser Chefredakteur, der deutsche Staatsbürger Sergej Engelmann, von den ukrainischen Grenzbehörden festgenommen, als er auf dem Weg zu seiner Familie nach Köln die Ukraine verlassen wollte.
Bereits seit 2021 leitete Sergej Engelmann gemeinsam mit dem Wissenschaftler Oleg Maltsev ein in der Ukraine gegründetes Forschungsinstitut zur Untersuchung des menschlichen Verhaltens in Extremsituationen. Trotz des andauernden militärischen Konflikts traf er bewusst die Entscheidung, im Land zu bleiben und seine wissenschaftliche sowie redaktionelle Arbeit fortzusetzen – aus tiefer Überzeugung vom wissenschaftlichen Potenzial der Ukraine und in aufrichtiger Verbundenheit mit der einzigartigen Geschichte und der Bevölkerung des Landes.
Als der Wissenschaftler Oleg Maltsev im September 2024 aufgrund einer konstruierten Anklage verhaftet wurde, verfolgte Sergej Engelmann das Geschehen aus nächster Nähe und leistete der Familie sowie dem Freundeskreis des Wissenschaftlers aktive Unterstützung. Darüber hinaus setzte er sich mit Nachdruck dafür ein, dass die internationale Öffentlichkeit über die offenkundige Fälschung der Strafanzeige gegen Maltsev in der Ukraine informiert wurde.
Nur vier Tage nach der Veröffentlichung seiner journalistischen Untersuchung mit dem Titel Wer hat die Verleumdungskampagne gegen Oleg Maltsev in Auftrag gegeben? – in der Engelmann die Hintergründe und Umstände der strafrechtlichen Verfolgung des ukrainischen Wissenschaftlers kritisch beleuchtete – wurde unser Chefredakteur selbst festgenommen.
Seit seiner Festnahme wurden die Grundrechte von Sergej Engelmann als ausländischem Staatsbürger systematisch missachtet. Sämtliche Verfahrensunterlagen wurden ausschließlich in ukrainischer Sprache verfasst. Erst nach zahlreichen Beschwerden gelang es der Verteidigung, eine Übersetzung der Anklageschrift ins Deutsche zu erwirken – fast fünf Monate nach der Festnahme. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Sergej bereits seit über 140 Tagen in Haft.
Eine von der Verteidigung in Auftrag gegebene unabhängige sprachwissenschaftliche Analyse kam zudem zu dem Ergebnis, dass die übermittelten Übersetzungen nicht mit den Originaldokumenten übereinstimmen und nicht als authentisch anerkannt werden können.
Am auffälligsten bleibt die Tatsache, dass in der Anklageschrift keine einzige konkrete rechtswidrige Handlung benannt wird, die Sergej Engelmann angeblich auf dem Territorium der Ukraine begangen haben soll. Ebenso fehlen Angaben zu mutmaßlichen Opfern der ihm zur Last gelegten Handlungen.
Darüber hinaus legte die Verteidigung dem Gericht offizielle Dokumente vor, die belegen, dass sich Engelmann während des Zeitraums, in dem das „Verbrechen“ angeblich stattgefunden haben soll (vom 20. April bis zum 5. Mai 2022), nachweislich außerhalb der Ukraine – nämlich in Deutschland und Kroatien – aufgehalten hat. Laut Angaben des Staatlichen Grenzschutzdienstes der Ukraine verließ er das Land am 20. Februar 2022 und kehrte erst am 14. Mai 2022 zurück, was eine physische Beteiligung an den ihm vorgeworfenen Handlungen ausschließt.
Trotz seines dokumentierten Alibis und zahlreicher gravierender Verfahrensverstöße seitens der Anklage befindet sich Sergej Engelmann weiterhin in Untersuchungshaft. Rechtsanwalt Alexandr Babikov weist auf die äußerst belastenden Haftbedingungen hin – sowohl im hygienisch-sanitären Bereich als auch in psychologischer Hinsicht, insbesondere im Hinblick auf den stark eingeschränkten Zugang zu externer Kommunikation.
Ist ein internationaler Skandal zu erwarten?
Auf Initiative des Rechtsanwalts Alexandr Babikov wurden der Deutschen Botschaft in Kiew die Fallunterlagen, einschließlich der übersetzten Verfahrensdokumente, zur Prüfung übergeben. Die Analyse dieser Unterlagen rief bei den diplomatischen Vertretern erhebliche Bedenken hinsichtlich der Wahrung der Grundrechte eines deutschen Staatsbürgers auf ukrainischem Hoheitsgebiet hervor.

Nach eingehender Prüfung stellte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland offiziell fest, dass die vorgelegten Übersetzungen schwerwiegende inhaltliche Fehler aufwiesen.
Am 15. Mai 2025 übermittelte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland offiziell eine Protestnote an das Außenministerium der Ukraine. Der diplomatische Protest bezieht sich nicht nur auf gravierende Übersetzungsfehler, sondern fordert ausdrücklich, dass die ukrainische Seite qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer bereitstellt – in Übereinstimmung mit den Mindeststandards des Europarates. Damit wird ein klarer Verstoß gegen die internationalen Verpflichtungen der Ukraine im Bereich des Schutzes der Rechte ausländischer Staatsbürger gerügt, insbesondere im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Solche diplomatischen Noten werden in offiziellen Registern erfasst und können – im Falle einer ausbleibenden angemessenen Reaktion der ukrainischen Behörden – als Grundlage für eine direkte Befassung der Institutionen der Europäischen Union und des Europarates dienen. Dies könnte nicht nur zu einer politischen Bewertung des ukrainischen Umgangs mit rechtsstaatlichen Verpflichtungen führen, sondern auch einen Präzedenzfall schaffen, der sich nachteilig auf die Verhandlungsposition des Landes im Kontext der europäischen Integrationsprozesse auswirken kann.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die mögliche rechtliche Verantwortung jener Vertreter der ukrainischen Staatsanwaltschaft, die unmittelbar für die festgestellten Verstöße verantwortlich sind. In der diplomatischen Note wird ausdrücklich festgehalten, dass die Sprachrechte eines deutschen Staatsbürgers im Rahmen des Verfahrens vor dem Bezirksgericht Primorsky in Odessa missachtet wurden.
Vor dem Hintergrund, dass sämtliche wesentlichen Verfahrensentscheidungen in diesem Fall von der Staatsanwaltschaft entweder initiiert oder aktiv unterstützt wurden, stellt sich die Frage nach der persönlichen Verantwortlichkeit des zuständigen Staatsanwalts Ruslan Voitov. Sollte sich bestätigen, dass durch dessen Handlungen der Zugang zur Verteidigung eingeschränkt und das Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde, könnten daraus völkerrechtlich relevante Konsequenzen erwachsen.
Was ist über Staatsanwalt Ruslan Voitov bekannt?
Im Strafverfahren gegen Sergej Engelmann wird die Anklage von Ruslan Voitov, Staatsanwalt bei der Regionalstaatsanwaltschaft Odessa, vertreten. Seine Vorgehensweise seit der Festnahme des deutschen Journalisten war wiederholt Gegenstand rechtlicher Beschwerden sowie öffentlicher Kritik seitens der Verteidigung.

Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die von Voitow unterzeichneten und unterstützten Entscheidungen im Zusammenhang mit der Inhaftierung Engelmanns – ungeachtet der Tatsache, dass die ihm zur Last gelegte Straftat weder als schwerwiegend einzustufen ist, noch Hinweise auf Geschädigte enthält oder durch konkreten Schaden belegt ist.
Vor diesem Hintergrund bewertet die Verteidigung die Unterbringung des Angeklagten in einer Untersuchungshaftanstalt – ohne Prüfung alternativer, milderer Zwangsmaßnahmen – als rechtsmissbräuchlich. Diese Maßnahme trage, so die Einschätzung der Verteidigung, die Merkmale einer indirekten Erpressung und Nötigung mit dem Ziel, eine Selbstbelastung oder Belastung Dritter im Gegenzug für die Aussicht auf eine mildere Form der Haftanordnung zu erzwingen.
Darüber hinaus, so Rechtsanwalt Alexander Babikov, bestand Staatsanwalt Ruslan Voitov im Juni 2025 – noch vor Beginn der nächsten Gerichtsverhandlung – ausdrücklich darauf, dass Sergej Engelmann auf einen Dolmetscher sowie auf die Übersetzung der Verfahrensdokumente ins Deutsche verzichtet. Dieses Verhalten steht in direktem Widerspruch sowohl zu den Bestimmungen der Strafprozessordnung der Ukraine als auch zu den Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Vor dem Hintergrund dieser und weiterer Verstöße reichte die Verteidigung eine offizielle Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine sowie beim Staatlichen Ermittlungsbüro (GBR) ein. Darin wurde Staatsanwalt Voitov die Begehung einer Straftat zur Last gelegt, die unter Artikel 374 des Strafgesetzbuches der Ukraine (Verletzung des Rechts auf Verteidigung) fällt.
Die Generalstaatsanwaltschaft lehnte jedoch sowohl die Durchführung einer internen Dienstaufsicht als auch die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen ihren Mitarbeiter ab. Gegen diese Entscheidung wurde gerichtlich Beschwerde eingelegt.
Das Gericht stellte im Rahmen der Beschwerdeprüfung die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Staatsanwaltschaft fest und ordnete die Einleitung eines Strafverfahrens sowie die Durchführung eines Vorverfahrens an. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war das Urteil bereits zur Vollstreckung weitergeleitet worden.
Die rechtliche Dimension des Falles ist jedoch nicht der einzige Aspekt, der Fragen aufwirft. Im Zuge der Analyse der Verfahrensunterlagen und der begleitenden Umstände identifizierte die Verteidigung eine Reihe von Hinweisen auf einen möglichen Interessenkonflikt sowie auf eine fehlende verfahrensrechtliche Unabhängigkeit des Staatsanwalts Ruslan Voitov. Konkret geht es um folgende Feststellungen:
- Durch die Erschleichung einer angeblichen Sehbehinderung sicherte sich Ruslan Voitov staatliche Zahlungen in Höhe von rund einer Million Griwna aus dem ukrainischen Pensionsfonds;
- Nutzung eines Fahrzeugs der Oberklasse, das auf eine Strohperson zugelassen ist;
- Verschleierung von Vermögenswerten und Einkommensquellen in seiner elektronischen Vermögenserklärung;
- Indizien für illegale persönliche Bereicherung.
Diese Umstände deuten nach Einschätzung der Verteidigung auf einen möglichen externen Einfluss auf die prozessuale Haltung des Staatsanwalts in diesem Verfahren hin und erklären dessen systematische Verletzungen verfahrensrechtlicher Vorschriften. Die genannten Sachverhalte werden als Beweismittel dem Strafverfahren wegen Verletzung der Rechte von Sergej Engelmann beigefügt und im Rahmen einer gesonderten rechtlichen Bewertung nach den Artikeln 190, 364, 366-2 und 368-5 des Strafgesetzbuches der Ukraine untersucht.
Die Handlungen des Staatsanwalts Ruslan Voitov im Fall Engelmann könnten damit völkerrechtliche Relevanz erlangen, da vergleichbare Konstellationen in der europäischen Rechtspraxis regelmäßig Aufmerksamkeit und Konsequenzen nach sich ziehen. Sollte sich nachweisen lassen, dass das Verhalten des ukrainischen Staatsanwalts zu einer Beschränkung des Zugangs zu rechtsstaatlichem Beistand oder zu einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren eines Bürgers der Europäischen Union geführt hat, könnte dies künftig Anlass für ein Einzelverfahren im Rahmen der Schutzmechanismen des Europarates geben.
Neuer Staatsanwalt der Region Odessa
In der Staatsanwaltschaft der Region Odessa hat es kürzlich personelle Veränderungen gegeben. Andrej Svatok wurde zum neuen Leiter der Regionalstaatsanwaltschaft ernannt.
Diese Ernennung könnte sowohl für den Fortgang der Ermittlungen im Fall Sergej Engelmann als auch für das institutionelle Ansehen der Regionalstaatsanwaltschaft Odessa einen Wendepunkt darstellen. Der neue leitende Staatsanwalt übernimmt ein Verfahren, das bereits internationale Besorgnis ausgelöst, diplomatische Reaktionen seitens der Bundesrepublik Deutschland hervorgerufen und in dessen Rahmen ein gerichtlicher Beschluss zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen seiner Untergebenen, Staatsanwalt Ruslan Voitov, ergangen ist.
Heute hängt es maßgeblich von der Haltung Andrej Svatoks ab, welchen Kurs die Regionalstaatsanwaltschaft einschlagen wird. Entweder er initiiert einen Prozess der rechtlichen Aufarbeitung und ermöglicht die unabhängige Untersuchung der mutmaßlichen Pflichtverstöße von Staatsanwalt Ruslan Voitov, wodurch er das Vertrauen in die Institution – sowohl in der ukrainischen Gesellschaft als auch bei internationalen Partnern – wiederherstellen kann.
Oder aber er hält an der Praxis institutioneller Schutzmechanismen und der de-facto „Immunität der Staatsanwaltschaft“ fest – und bestätigt damit endgültig, dass innerhalb des Systems kein funktionierender Mechanismus der Selbstkontrolle existiert, selbst unter dem Druck geltender völkerrechtlicher Verpflichtungen.
Andrej Svatok steht vor einer Richtungsentscheidung: Entweder er stellt sich in den Dienst der Gerechtigkeit – oder er schützt mit seinem Schweigen jene, die vorsätzlich gegen die Grundregeln des Rechts verstoßen haben.
Unter den Bedingungen fortlaufender diplomatischer Beobachtung kann diese Entscheidung zu einem maßgeblichen Indikator seiner persönlichen Integrität und beruflichen Eignung werden.